Historie

Auch Logos haben eine Historie

Warum „Historie“?

Wann wenn nicht jetzt!
Bestimmt nicht nur in unserer Gesellschaft ist das kontinuierliche Dokumentieren der eigenen Historie ein heikles Thema. Es hängt zumeist vom Engagement einzelner Enthusiasten ab, der „Vereinschronistin“ oder dem „Vereinschronisten“. Hinzu kommt dann aber noch das ganz natürliche Problem der Absicherung einer Kontinuität in Archivierung und Dokumentation über die dahinziehenden Jahre.
Unsere ersten Vereinsjahre lieferten ja überwiegend analoge Dokumente. Viel Papier und im Vergleich zu heute relativ wenige Fotos, schon gar keine digitalen. Oft ist man heute aber froh, noch solche analogen Dokumente des Anfangs zu besitzen. Die ersten Disketten der digitalen Anfänge sind oft schon längst verschollen bzw. nicht mehr lesbar.

Mit dem Aufbau und der Pflege von Auftritten im Internet zur Publikation von Veranstaltungen, zum Meinungsaustausch z.B. in Blogs etc. entsteht gleichzeitig eine Art von „automatischer Dokumentation der Historie“. Bleibt jedem zu bewerten, ob einem dies reicht.

Die DFGL ist richtig ernsthaft erst seit September 2019 im Web präsent.
Aber auch aus den vorherigen 29 Jahren sind es etliche Ereignisse, Veranstaltungen, Projekte und Entwicklungen wert, rückblickend dokumentiert und bewahrt zu werden.

Machen wir den Anfang mit dem Anfang.

Der Anfang

Der 6. April 2020 ist für die DFGL ein besonderer Tag. An diesem Tag vor nunmehr 30 Jahren wurde die Deutsch-Französische Gesellschaft in Leipzig e.V. gegründet.

Einladung zur „ersten Kontaktveranstaltung“

Einige von uns werden sich erinnern. Denn sie saßen mit insgesamt 177 anderen Menschen im Hörsaal 12 der damaligen Karl-Marx-Universität und blickten gespannt auf die Initiatoren des Vereins, die sich um ein Rednerpult versammelt hatten und ihr Projekt vorstellten. Viele der Teilnehmer hatten den eher unscheinbaren Aufruf in der Leipziger Volkszeitung gelesen, in dem die „Freunde Frankreichs“ zu diesem Gründungsakt einer von Ideologien unabhängigen Deutsch-Französischen Freundschaftsgesellschaft aufgerufen wurden.

Aufruf in der örtlichen Presse vom 09. Februar 1990

Dabei war auch Prof. Dr. Dr. Kurt Nowak, langjähriger Prof. an der Theologischen Fakultät der Leipziger Universität, ein Mann der ersten Stunde, der die DFGL mit seinem offenen, auf europäische Verständigung ausgerichteten Geist und seiner Liebe zu Frankreich maßgeblich geprägt hat.
Vor nunmehr 20 Jahren, ein Jahr vor seinem viel zu frühen Tod, veröffentlichte er einen Artikel zum 10-jährigen Bestehen der DFGL, den wir hier in ungekürzter Form wiedergeben möchten, da er viel über die Aufbruchsstimmung der Gründungsphase aussagt.
Natürlich hat sich seitdem vieles geändert und weiterentwickelt, aber die Grundausrichtung der Gesellschaft ist geblieben und sogar einige Veranstaltungsformen wie die Cuisine Française haben sich bis heute erhalten. Geblieben ist natürlich auch der Wille zum Austausch der Kulturen und die Nähe zu den Bürgen dieser Stadt.

06.04.2020, Christabel Heisig


Kurt Novak

Freunde der Franzosen –
die „Deutsch-Französische Gesellschaft in Leipzig“

Die Liebe zu anderen Kulturen schützt vor Nationalismus. Sollte es notwendig sein, die Existenz der „Deutsch-Französischen Gesellschaft in Leipzig” zu begründen, so reichte dieses eine Argument schon aus. Qui sommes nous? Wer sind wir? Wer sind jene Leipziger Bürger, die nicht ohne Stolz von sich sagen, sie seien Liebhaber der französischen Sprache, Bewunderer der französischen Kultur und Anhänger jener Prinzipien der politischen Moderne, deren Mutter Frankreich heißt? Ganz gewiß kann die „Deutsch-Französische Gesellschaft“ nicht den Anspruch erheben, alle Leipziger Bürger, die Freunde Frankreichs sind, in ihren Reihen zu vereinen. Vereinskultur ist nicht jedermanns Sache. Die organisierte Stimme von Leipzigs Frankreichliebhabern dürfte die DFGL, wie ihr Kürzel lautet, dennoch sein.

Ist es wirklich wahr, dass die „Deutsch-Französische Gesellschaft in Leipzig“ in diesem Frühjahr 2000 bereits zehn Jahre alt wird? Die Daten sind unwiderlegbar. Am 7. Februar 1990 besuchte der langjährige Repräsentant der „Association France – RDA“, Professor Georges Castellan, eine junge Leipziger Romanistin, Dr. Bärbel Plötner, nachmals erste Präsidentin der DFGL. Er befand sich in Begleitung einer Funktionärin der staatsoffiziellen „Freundschaftsgesellschaft DDR – Frankreich“. Im Gegensatz zur „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“, einer Massenorganisation, der nach Möglichkeit alle Bürger der DDR angehören sollten, war jene Freundschaftsgesellschaft SED-Funktionären, höheren Staatsbediensteten und politisch „zuverlässigen“ Intellektuellen vorbehalten. Der französische Repräsentant und die deutsche Funktionärin suchten in den bewegten Wochen und Monaten nach der friedlichen Revolution vom Herbst 1989 den Kontakt zu Freunden Frankreichs in der Bevölkerung. Sollte die Funktionärsorganisation durch Zustrom der bis dahin Ausgeschlossenen am Leben erhalten werden? Am 9. Februar 1990 erschien in der Leipziger Volkszeitung und in weiteren Blättern der Aufruf „Freunde für Frankreich gesucht“. Hinter dem Aufruf stand eine Initiativgruppe um Dr. Bärbel Plötner, Dr. Lothar Plötner (heute Vizepräsident der DFGL) und Dr. Matthias Middell, Historiker und Frankreichspezialist.

„Die Freundschaftsgesellschaft Frankreich“, lasen die interessierten Leipziger beim Morgenkaffee, „ist dabei, sich vollständig zu erneuern und demokratisch zu öffnen. Sie versteht sich als Organisation in der DDR und will Stätte der Begegnung zwischen Franzosen und Bürgern unseres Landes sein. Sie ruft dazu auf, sich in einem Ortsverband zusammenzufinden.“ Wie man sieht, war der Aufruf ein wenig zwischen den Zeiten geschrieben. Die Initiatoren rechneten noch mit dem Fortbestand der DDR und verbrannten die Brücken zur „Freundschaftsgesellschaft DDR-Frankreich” nicht völlig. Gleichwohl setzten sie ein systemsprengendes Signal. Entscheidend war das Stichwort „Ortsverband“. Denn damit war nun in der Tat etwas ganz anderes gemeint als die Auffüllung einer Funktionärsorganisation durch das Frankreich liebende Fußvolk: Bürgernähe und eigene Initiative. Auch passte ein Ortsverband nicht in die zentralistischen Strukturen der alten Freundschaftsgesellschaft. Wahrscheinlich noch ohne nähere Kenntnis der „Deutsch-Französischen Gesellschaften“ in der alten Bundesrepublik neigten sich die Initiatoren mit ihrem Projekt diesem Modell entgegen.

Aus der Gründerzeit der „Deutsch-Französischen Gesellschaft in Leipzig“ ragt der 6. April 1990 heraus. In den knarrenden Sitzreihen des Hörsaals 12 der Universität Leipzig versammelten sich am Abend dieses Tages nicht weniger als 177 Bürger der Stadt Leipzig, um ihre lang gehegte Liebe zu Frankreich nun endlich mit Leben zu erfüllen. Sie glichen Wüstenwanderern, die nach entbehrungsreichen Märschen am Meer angekommen sind und sich in die Fluten werfen. Die Versammlungsleiterin und alsbaldige Vereinspräsidentin hatte alle Hände voll zu tun, um die Wogen zu glätten und das Nötige zu veranlassen: die Gründung eines eingeschriebenen Vereins mit dem Charakter der Gemeinnützigkeit. Seit dem 15. Mai 1990 ist die „Deutsch-Französische Gesellschaft in Leipzig e. V.“ im hiesigen Vereinsregister unter Nummer 10ó registriert.

Jedes einzelne Mitglied der DFGL kann von seiner eigenen Geschichte mit Frankreich erzählen. ln dem großen Freiluftgefängnis DDR hatten sich diese Geschichten im Verborgenen entwickelt. Man war kaum je einem Franzosen begegnet, und falls doch, dann hatte es sich um einen meldepflichtigen Westkontakt- oder um Messe-Vertreter – gehandelt. Französisch war im Lehrangebot der DDR-Schulen eine Rarität, Frankreichs Wirtschaft zwischen Elbe und Oder so gut wie nicht präsent, die Kultur des Nachbarlandes nur in groben Umrissen bekannt. All das hatte die Geschichten in Träume und unerfüllte Wünsche verwandelt. Frankreich war zum Mythos geworden. Die Träume von Frankreich, dem Lande der großen Verheißung, nährten die Phantasie und ließen den Wirklichkeitssinn verkümmern. Seit 1990 hatten die Träume von der Terre de la Grande Promesse die Feuerprobe der Realität zu bestehen. Je mehr Möglichkeiten sich eröffneten, Frankreich kennenzulernen, desto schneller starben die Mythen. Eine weitere Erfahrung kam hinzu. Ein gemeinnütziger Verein funktioniert nur wechselseitig. Dem Angebot der Verantwortlichen korrespondiert die aktive Mitwirkung der Mitglieder. Das Blut muss im gesamten Vereinskörper zirkulieren. Eine Service-Agentur für kostengünstige Frankreichreisen und Sprachkurse konnte die DFGL nicht sein. Wer das von ihr erwartete – und sich in dieser Erwartung enttäuscht sah -, hat die Gesellschaft frühzeitig verlassen. Nach zehn Jahren sind die 177 Interessenten von 1990 auf 86 feste Mitglieder eingeschmolzen, unter ihnen 12 juristische Mitglieder: Hotels, Autohäuser, das Leipziger Opernhaus, das Restaurant Clichy.

In ihrer Anfangs- und Aufbruchszeit gab die DFGL nach vielen Seiten Starthilfen. Sie förderte Schulpartnerschaften, den Studentenaustausch und Kontakte auf musischem Gebiet, z. B. zwischen Laienchören, -orchestern und -theatern. Erst jetzt sah man im vollen Umfang, was die einstige „Freundschaftsgesellschaft DDR-Frankreich“ alles versäumt und verhindert hatte. Wenn die Partner ihre Belange in die eigenen Hände nahmen, konnte sich die DFGL wieder zurückzie› hen. Die Philosophie dieser Anbahnungs- und Kontaktarbeit lässt sich in einem schlichten Satz zusammenfassen. Möglichst viele Leipziger sollten möglichstviele Franzosen kennenlernen, sei es auf dem Boden Frankreichs, sei es auf einheimischen Boden. Die Beziehungen der Völker und Kulturen leben von der persönlichen Begegnung, von Freundschaft, Geselligkeit, von gemeinsam gepflegten Interessen.

Die DFGL suchte nach festen Verbindungen in Frankreich und fand sie in nachgerade überströmender Fülle. In Paris war es der Cercle Franco-AI/emand mit Monsieur Bourel, dessen Mitglieder uns mit offenen Armen empfingen und eigens zu einer Begegnung nach Leipzig aufbrachen. Mit Le Puy (Haute Loire) war es gleich eine ganze Stadt, die mit der DFGL zusammenarbeitete. Solange die DDR existierte, unterstützte der Kulturattaché der Französischen Botschaft in (Ost-)BerIin, Professor Kalbach, die DFGL, später war es die Botschaft der Französischen Republik in Bonn. Nach der verdienstvollen ersten Präsidentin, Dr. Bärbel Plötner, die heute als Mitarbeiterin des CNRS nahe Lyon lebt, rückte am 3. Dezember 1991 eine gebürtige Französin in das Amt der Präsidentin ein: Madame Mireille Vildebrand. Die DFGL besitzt in ihrer zweiten, nun schon Iangjährigen Präsidentin, ein eminentes symbolisches Kapital. Viele Türen öffnen sich wie von selbst. Ist zuviel gesagt, wenn wir die Tatsache, dass an der Spitze unserer Gesellschaft eine Französin steht, als Akt der Einwurzelung in den Boden Frankreichs bezeichnen? Ein Akt von vergleichbarer Qualität vollzog sich mit der Berufung von Professor Joseph Rovan zum Ehrenmitglied. Joseph Rovan, geboren 1918 in Deutschland, verließ nach Hitlers Machtantritt 1933 das Land seiner Geburt. Seit 1940 kämpfte er in der „Resistance“, was ihm die Deportation in das Konzentrationslager Dachau eintrug. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwikkelte er sich zu einem der führenden politischen Publizisten Frankreichs. ”Depuis sa Iibération“, heißt es in einer Würdigung, „il n’a cessé de vouloir être, par toutes ses activités et par son oeuvre, un pont vivant entre les deux grandes nations jadis ennemies ,héréditaires‘ et maintenant associées pour Ia construction de I’Europe unie.“

Den Schwerpunkt ihrer gegenwärtigen Tätigkeit sieht die DFGL in der Vermittlung der französischen Kultur. Die Adressaten sind zunächst die Mitglieder. Nicht wenige Angebote richten sich auch an die Offentlichkeit. Weil die Gründermütter und -väter der DFGL 1990 aus dem Milieu der Universität kamen, bestand zeitweilig die Gefahr der Kopflastigkeit. Die „Deutsch-Französische Gesellschaft in Leipzig“ ist kein Frankreich-Seminar mit wechselnden Themen an wechselnden Orten. Allerdings ist sie auch kein Freizeitklub. lhr Wirken vollzieht sich unter zwei Vorzeichen, die sie miteinander in Einklang bringen möchte. Zum einen arbeitet die DFGL an der Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen zu unserem Nachbarland jenseits des Rheins. Zum anderen weiß sie sich den legitimen Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet. Bewährt hat sich in zehniähriger Erfahrung ein gemischtes Angebot. Es reicht von Vorträgen in der Serie „Conférence“ bis zum gemeinsamen Spiel („Pétanque”) und Kochen („Cuisıne française“), von Konzerten und Ausstellungen bis zu Exkursionen nach Frankreich. Höhepunkte der letzten Jahre waren die Fahrten unserer Gesellschaftbnach Elsaß-Lothringen und Paris, das Sommerfest „Leipzig bouIt“ 1996, der Liederabend „L’amour de yiddish“ zum 60. Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938 und eine literarische Veranstaltung zu den „Maximen und Reflexionen“ des Grafen de Ia Rochefoucault im November 1999. Es gab Begegnungen mit Gästen aus Paris, Bourges und weiteren Stadten, Kunstausstellungen und vieles andere mehr. Das monatlich erscheinende Mitteilungsblatt A propos ist ein längst unverzichtbares Medium der Information und Kommunikation. Im Institut français und dem Frankreich-Zentrum der Universität Leipzig besitzt die DFGL verlässliche und gleichgesinnte Partner.

Die 1989/90 ruhmlos untergegangene „Freundschaftsgesellschaft DDR – Frankreich“ war eine Gesellschaft zur Verhinderung der Freundschaft mit Frankreich. Selbst das Centre culturel de Ia RDA in Paris war seinerzeit nichts anderes als ein kostenintensiver Fehlschlag. Den Franzosen imponierte an dieser Residenz des SED-Staates die vornehme Adresse am Boulevard St. Germain, aber sonst gar nichts. Die Frankreichpolitik der DDR litt an vielen Krankheiten: an Berührungsfurcht vor einer Sprache, welche die SED-Funktionäre nicht beherrschten, an einer Kultur, die sie allenfalls bestaunten, an einem politischen System, dessen Prinzipien zu beherzigen den eigenen Untergang bedeutet hatte. Dıeses Erbe hat in den neuen Bundesländern erheblichen Nachholebedarf erzeugt. Betrachtet man Leipzigs „Deutsch-Französische Gesellschaft“ im Horizont der großen Idee, der sie sich verpflichtet weiß, dann arbeitet sie auf dem Boden der einstigen DDR mit ihren bescheidenen und dennoch vielfältigen Mitteln an der nachholenden Festigung des Bandes zwischen Frankreich und Deutschland im gemeinsamen Haus Europa.

Die „Deutsch-Französischen Gesellschaften“ in den neuen Bundesländern – die Leipziger Gesellschaft ist nicht die einzige ihrer Art – sind Kinder der „friedlichen Revolution“. Sie sind bürgernah und sie sind demokratisch. Wenn es um das Prinzipielle geht, leuchtet die Flamme der Revolution allemal zu ihnen herüber – die Flamme der Revolution von 1789 und die Kerzenflammen der „friedlichen Revolution“ von 1989.


Erschienen in Heft 5 der Schriftenreihe „Europäer in Leipzig damals und heute“, 2000
Herausgeber: „Europahaus Leipzig e.V.“


Der Anfang ist gemacht!
Aber da warten noch einige Themen.
Alle Mitglieder und Freunde unserer Gesellschaft sind aufgerufen, mit ihren Erinnerungen, Episoden, Meinungen etwas zu dieser Seite beizutragen.
Dies richtet sich nicht nur an die „Zeitzeugen des Anfangs“. Alle haben irgendwie an der Geschichte unserer Gesellschaft ihren Anteil und schreiben weiter mit an dieser!

10.04.2020 Lothar Plötner

Fortsetzung folgt …